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Mit über 50 gesetzlichen Vorgaben auf EU-Ebene gehört Blei zu den meistregulierten Stoffen überhaupt. Dennoch wird Blei weiter kritisch in der Öffentlichkeit beäugt und die Gesetzgebung wird von Jahr zu Jahr strikter. Im Fokus aktueller regulatorischer Entwicklungen in der EU liegen die vorgesehene Umwelteinstufung von Blei sowie die Empfehlung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) für eine Zulassung unter der EU-Chemikalienverordnung (REACH).
Die Betrachtung der intrinsischen Eigenschaften eines Stoffes, also ob und wann ein Stoff einer bestimmten prinzipiellen Gefährdung zugeordnet wird, ist eine komplexe wissenschaftliche Aufgabe. Diese sogenannte gefahrstoffrechtliche Einstufung ist über die europäische Verordnung zur Einstufung und Kennzeichnung („CLP-Verordnung“) geregelt. Sie gilt für alle Unternehmen innerhalb der EU, die Stoffe, wie z.B. Metalle oder Gemische (z.B. Legierungen), herstellen, importieren oder verwenden. Die Zuordnung erfolgt in verschiedene Klassen, sie beziehen sich gemäß CLP-Verordnung auf physikalische, Gesundheits- und Umwelt- sowie zusätzliche Gefahren.
Verständnis der CLP-Verordnung - ECHA (europa.eu)
Seit August 2020 gilt gemäß der CLP-Verordnung in der EU eine verbindliche Einstufung von pulverförmigem Blei als umweltgefährlich.
Es ist damit den schärfsten Kategorien sehr giftig für Wasserorganismen
und mit langfristiger Wirkung zuzuordnen („Aquatic Acute 1“ und „Aquatic Chronic 1“).
Gleichzeitig wurde beschlossen, die massive Form nicht einzustufen und den EU-Ausschuss für Risikobewertung (RAC) hierzu erneut beraten zu lassen. RAC hat die Diskussion zur Frage der Umwelteinstufung von massivem Blei in mehreren Sitzungen im Jahr 2021 fortgeführt und im September 2021 zum wiederholten Male und in verschärfter Form empfohlen: Einstufung als „Aquatic Acute 1, M-Faktor 10 und Aquatic Chronic 1, M-Faktor 1000“ für alle Blei-Formen.
Allerdings wird in der RAC-Begründung die Möglichkeit eines gesplitteten Eintrags in die massive Form und die Pulverform (< 1mm) als Alternative aufgeführt. Dieser Aspekt wurde bei den Diskussionen zur Umwelteinstufung von Blei im CACARAL (Fachgremium der Mitgliedstaaten-Behörden zu REACH- und CLP-Fragen)* aufgegriffen. Dort kam man Ende Mai 2023 zu folgendem Kompromiss:
Diese Kompromissvorschläge liegen inzwischen als finaler delegierter Rechtsakt vor. Nach weiteren Prüfungen ist mit einer Veröffentlichung und Inkrafttreten in Q1 2024 zu rechnen. Nach dem Inkrafttreten ist eine 18-monatige Implementierungsfrist vorgesehen.
*CARACAL
Der Karakal ist eine afroasiatische, mittelgroße Katze aus der Gattung Caracal. Der Name bezieht sich auf die Schwarzfärbung der Ohren, denn auf Türkisch bedeutet karakulak „Schwarzohr“. Diese Wildkatze ist hier allerdings nicht gemeint!
Im Bereich des Chemikalienrechts ist CARACAL das Acronym für „Competent Authorities for REACH and CLP“. Die Aufgabe dieses Gremiums ist der Meinungsaustausch und die Koordinierung der Mitgliedstaaten im Zuge der fachlichen Beratung der EU-Kommission, z.B. die der Vorbereitung der Kommission bei der Ausarbeitung Delegierter Rechtsakte, z.B. im Rahmen von CLP-Anpassungsverordnungen.
Bei einer Einstufung als „Aquatisch Chronisch 1“ mit einem M‑Faktor 10 müssen alle Legierungen und Metalle mit Gehalten von > 0,025 % Pb (250 ppm Pb) als umweltgefährlich eingestuft werden, ab Bleigehalten > 0,25 % (2500 ppm Blei) würden alle Legierungen dann auch Seveso-relevant (Störfallrecht) und müssen als Gefahrgut (Transportrecht) eingestuft werden.
Reinmetalle wie Aluminium, Kupfer oder Zink enthalten häufig Verunreinigungen an Blei, die allerdings typischerweise unter dieser Konzentrationsgrenze liegen. Bei Sekundärmetallen können die Gehalte an Blei höher sein.
Die Blei-Einstufung als umweltgefährlicher Stoff kann Präzedenzcharakter für andere Metalle haben und ist daher von sehr hoher Bedeutung. Nach den Erfahrungen mit der Umwelteinstufung der massiven Form von Blei muss die Effizienz des gesamten Prozesses hinterfragt werden, denn die Einstufungs-Leitlinien für Metalle wurden bei anderen Metallen in adäquaterer Form angewandt. Natürlich ist eine Einstufung jeweils individuell, also case-by-case zu betrachten. Im Falle von Blei bleibt allerdings die Frage im Raum, ob die Entscheidung nicht eher konservativ ausgefallen ist, weil es sich eben um Blei handelt. Die Metallindustrie bietet hierzu einen Dialog mit den Behörden an, um herauszufinden, was getan werden kann, um die nachgelagerten Folgen für Genehmigungen, die Verarbeitung, das Recycling usw. abzumildern. Denn Blei ist ja bereits in Anhang VI der CLP-Verordnung aufgeführt und zusätzlich stark reguliert.
REACH (seit 2007 in Kraft) ist die wichtigste EU-Verordnung für die Regulierung von Chemikalien (gilt auch für Metalle) und steht für Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien.
Blei befindet sich seit 2018 auf der Kandidatenliste für die Zulassung. Im April 2023 hat die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) die Zulassung von Blei empfohlen.
Zulassung: Der Begriff ist zunächst einmal eher missverständlich, da es sich nicht um eine „Erlaubnis“ handelt, sondern eine Zulassung in diesem Kontext einer restriktiveren Behandlung des Stoffes gleichkommt, da er dann unter die regulierende Verordnung REACH fällt. Die Zulassung unter REACH soll sicherstellen, dass besonders besorgniserregende Stoffe in der Anwendung sicher beherrscht werden und schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder -technologien ersetzt werden, insofern diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind. Zulassungspflichtig wäre Blei erst dann, wenn es im Anhang XIV der REACH-Verordnung aufgeführt wird. Für Verwendungen von Stoffen in Anhang XIV müssen Zulassungsanträge bei der ECHA gestellt werden. Ohne eine Zulassung ist nach dem Ablauftermin („Sunset Date“) eine weitere Verwendung ausgeschlossen.
REACH-Revision: Mit der 2020 veröffentlichten Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit wurde eine umfassende Überarbeitung von REACH angekündigt. Grundlegende Veränderungen sind geplant - besonders kontrovers ist die Einführung eines Essential Use Concept. Die Veröffentlichung der REACH-Revision, Ende 2022 geplant, ist bis heute nicht erfolgt und ist auch vor den Europawahlen 2024 nicht realistisch. Eine erneute Verschiebung sieht die WVMetalle positiv, da eine weitere Verschärfung von REACH, Unternehmen unverhältnismäßig belasten und die Wettbewerbsfähigkeit gefährden würde.
Ohne Zulassungspflicht: Schon mit der Aufnahme von Blei-Metall in die SVHC-Kandidatenliste ergeben sich für verschiedene Akteure in der Lieferkette bestimmte Mitteilungs- und Kommunikationspflichten. Hersteller oder Importeure von Erzeugnissen von außerhalb der EU müssen ggf. die ECHA benachrichtigen. Diese Mitteilungspflicht gilt für das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, wenn darin Blei oberhalb einer Konzentration von 0,1 % (m/m) und in Mengen von mehr als einer Tonne pro Hersteller/Importeur pro Jahr enthalten ist. Die Mitteilungen müssen spätestens sechs Monate nach Aufnahme des Stoffes in die SVHC-Kandidatenliste erfolgen.
Hersteller und Lieferanten von Erzeugnissen (z.B. Halbzeuge, Bauteile, Maschinen, Elektroartikel etc.) aus der EU/EWR müssen ihren gewerblichen Kunden ausreichend Informationen über die sichere Verwendung zur Verfügung stellen, sofern ein Stoff der SVHC-Kandidatenliste in einer Konzentration über 0,1 % im Erzeugnis enthalten ist.
Mit Zulassungspflicht: Eine Pflicht zur Zulassung könnte für viele Anwender und Hersteller von Erzeugnissen in Europa eine sehr hohe Hürde darstellen, denn ein Zulassungsantrag ist aufwendig und teuer und es ist nicht sicher, dass die – in jedem Fall befristete Zulassung – auch erteilt wird. Darüber hinaus muss zusammen mit dem Zulassungsantrag ein Substitutionsplan vorgelegt werden. Auf viele bleihaltige Produkte wie Batterien, Akkumulatoren, Kabelummantelungen oder Strahlenschutzprodukte kann weiterhin nicht verzichtet werden. Im Gegensatz zu den europäischen Produzenten müssten die außereuropäischen Wettbewerber keinen Zulassungsantrag stellen und dürften ihre Endprodukte weiterhin nach Europa liefern, was einen erheblichen Wettbewerbsnachteil darstellen würde.
Eine Zulassungspflicht ist zwar kein Verbot, falls aber ein Stoff in dem Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe aufgeführt wird, sollte vom Unternehmen überprüft werden, ob die eigenen Verwendungen nicht von der Zulassung ausgenommen sind. Beispiele für ausgenommene Verwendungen sind Zwischenprodukte sowie wissenschaftliche Forschung und Entwicklung. Mögliche Ausnahmen von der Zulassungspflicht können sich aus anderen Vorgaben ergeben, z.B. aus anderen Regulierungen, wie z.B. der RohS oder der ELV. Antragsteller können Hersteller, Importeure oder nachgeschaltete Anwender des Stoffes sein.
Als WVMetalle und Plattform Blei und mit vielen weiteren Partnern setzen wir uns weiter auf nationaler und europäischer Ebene dafür ein, dass Blei-Metall nicht in die Zulassung kommt.
Die Metallindustrie betont seit langem die Notwendigkeit den bestehenden biologischen Grenzwert (biological limit value, BLV) sowie den verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert (Binding Occupational Exposure Limit Values, BOELV) für Blei und seine anorganischen Verbindungen abzusenken, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer besser zu schützen. Dabei müssen die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen seit der Verabschiedung der derzeitigen Grenzwerte im Jahr 1982 berücksichtigt werden. Dies spiegelt sich auch in langjährigen freiwilligen Initiativen der Industrie wider, die eine kontinuierliche Verbesserung des Managements der Bleiexposition am Arbeitsplatz fördern. Hervorzuheben ist im europäischen Kontext der Zielwert von 20 μg Pb/100ml Blut bis Ende 2025 der International Lead Association (ILA).
Am 13. Februar 2023 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag mit Bezug zu Blei veröffentlicht. Dieser Vorschlag beinhaltet einen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert von 0,03 mg/m³ und einen biologischen Grenzwert von 15 μg Pb/100 ml Blut für Blei und seine anorganischen Verbindungen, allerdings ohne jegliche Übergangsfristen. Der vorgeschlagene verbindliche biologische Grenzwert liegt deutlich unter den Werten, die derzeit in den Mitgliedstaaten und in den meisten Nicht-EU-Ländern in Kraft sind. In Deutschland ist zwar seit 2021 ein biologischer Grenzwert von ebenfalls 15 μg Pb/100 ml Blut in Kraft, allerdings haben Behörden, Berufsgenossenschaften, Arbeitnehmer*innen und Industrie zuvor gemeinsam die TRGS 505 aktualisiert und damit spezifische Schutzmaßnahmenpakete für alle betroffenen Branchen etabliert und eine Begleitung zur Unterschreitung des biologischen Maßstabs durch Arbeitsmediziner*innen auf den Weg gebracht.
Übergangsmaßnahmen bzw. Ausnahmeregelungen sind wegen der historischen Belastung und der Speicherung von Blei in den Knochen der Mitarbeitenden absolut unumgänglich, um flächendeckend einen BLV von 15 μg Pb/100 ml Blut zu erreichen.
Der Kommissionsvorschlag beachtet demgegenüber aus unserer Sicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend, da die technische Machbarkeit und die voraussichtlichen Kosten für alle Sektoren zur Erreichung der BLV und insbesondere der empfohlenen BOELV nicht angemessen bewertet wurden. Diese Frage ist besonders relevant für europäische und deutsche Unternehmen, die metallische Erze zur Herstellung von Blei und anderen Metallen verarbeiten, die aufgrund der sehr hohen erforderlichen Investitionsausgaben unverhältnismäßig stark betroffen sein werden. Es ist eine längere Übergangszeit erforderlich, damit diese Betriebe die ehrgeizigen Standards erfüllen können.
Der Arbeitsplatzgrenzwert (BOELV) sollte nicht niedriger festgelegt werden als der niedrigste derzeit in den EU-Mitgliedstaaten geltende Grenzwert, also 0,05 mg/m³ (8h TWA).
Alle wissenschaftlichen Gremien sind sich einig, dass die Bleikonzentration im Blut das beste Maß zur Bewertung der beruflichen Exposition gegenüber Blei und Bleiverbindungen ist. Darüber hinaus wird erkannt, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen der Blutbleikonzentration eines/einer Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin und der Luftkonzentration am Arbeitsplatz gibt. Der von der EU-Kommission vorgeschlagene BOELV wird daher für viele Industriezweige enorme Kosten verursachen, ohne einen zusätzlichen Nutzen für die Gesundheit der Arbeitnehmer*innen zu generieren. In der Folgenabschätzung der Kommission, die sich ebenfalls auf die Erreichung von Zielwerten für die Bleikonzentration im Blut konzentrierte, wurden die Kosten und der Nutzen eines Luftgrenzwertes nicht bewertet. Das Fehlen von Übergangsmaßnahmen vernachlässigt außerdem die wissenschaftlich unumstrittene Pharmakokinetik von Blei: Langjährig beschäftigte Arbeitnehmer*innen reichern Blei in den Knochen an und werden aufgrund früherer Expositionen viel länger brauchen werden, um die angestrebten abgesenkten Blutbleispiegel zu erreichen.
Blei steht im Fokus vieler Interessen und manchmal scheint es, als wäre das Gewirr der Regularien, die sich um dieses zwar toxische, aber dennoch unverzichtbare Metall drehen, kaum noch zu durchschauen. Die neue Initiative setzt sich zum Ziel, die vielen losen Enden zusammenzuführen und die regulatorischen Entwicklungen rund um den Werkstoff eng zu begleiten.
So viel über den Stoff gesprochen wird, so wenig ist über seine positiven Eigenschaften und essentiellen Anwendungsgebiete bekannt. Die Plattform Blei bündelt, initiiert und kommuniziert Informationen, Hintergrundwissen und konkrete Projekte für einen ehrlichen und offenen Dialog.
Das regulatorische Rad dreht sich stetig weiter – Monitoring der gesetzlichen Entwicklungen:
Besondere Aufmerksamkeit besteht hinsichtlich der REACH-Zulassung, der Grenzwertdiskussionen und des Arbeitsschutzes. Alle Bereiche werden in enger Abstimmung mit den Themenverantwortlichen der WVMetalle und der International Lead Association bearbeitet.
Die Plattform Blei arbeitet zusammen mit international anerkannten Initiativen und Partnern in konkreten Projekten als Basis für unsere Kommunikation. Erst handeln, dann berichten.
Inhaltsvolle, gradlinige und zielorientierte Kommunikation in Dialogform auf behördlicher, wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene. Als Fundament und Quelle dieser Kommunikation dient die Projektarbeit und das Bewusstsein unserer Mitglieder über die Verantwortung, die wir im Umgang mit dem Werkstoff haben – in Deutschland und entlang der gesamten Lieferkette.