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Ein knappes, wertvolles Gut

Rohstoffe
in der Krise

WVMetalle-Hauptgeschäftsführerin Franziska Erdle spricht im Interview über die Notlage der energie- und rohstoffintensiven Metallbranche.

Wir befinden uns – neben weiteren großen internationalen Verwerfungen – inmitten einer Rohstoffkrise, deren Auswirkungen inzwischen auch jeder von uns persönlich zu spüren bekommt. Welche Aspekte spielen insbesondere für die NE-Branche eine bedeutende Rolle?

Franziska Erdle: Alle sprechen momentan über Gasknappheit und Strompreise. Aber wir haben tatsächlich auch eine Krise bei den nichtenergetischen Rohstoffen. Die Lieferketten sind zuzeit ziemlich unter Stress. Das liegt an ganz verschiedenen Faktoren. Angefangen hat es mit der Corona-Pandemie, die ja noch lange nicht überstanden ist. Hinzu kommen der Krieg in der Ukraine aber auch die niedrigen Pegelstände in den Flüssen. Und die aufgrund dessen verhängten Sanktionen tun noch ein Übriges, um die Situation weiter zu verschärfen. 

Ich möchte hier ganz klar sein: die Nichteisen-Metallbranche und die WirtschaftsVereinigung Metalle stehen ganz klar hinter der Sanktionspolitik der Bundesregierung. Wir akzeptieren und unterstützen das Primat der Politik. Aber – und das gehört auch zur Wahrheit dazu – unsere Unternehmen und unsere Branche bekommen die Wirkungen der Sanktionen in vielen Bereichen zu spüren. Das geht so weit, dass es mitunter existenzbedrohend ist.

„Primat der Politik“ – oft gehört, selten genau erläutert… Was genau versteht die WVMetalle darunter? 

Franziska Erdle: Primat der Politik lesen wir im Sinne einer vorrangigen Entscheidungsgewalt der Bundesregierung in Zeiten von kriegerischen Auseinandersetzungen. Das bedeutet, dass wir den Kurs der Bundesregierung in Sachen Sanktionen akzeptieren und auch uneingeschränkt dahinterstehen. Es gibt allerdings eine Verknüpfung von Politik – und politischen Entscheidungen – und der Wirtschaft. Deswegen weisen wir selbstverständlich auf deren Folgen für unsere Branche hin und tragen dies auch an die Politikerinnen und Politiker heran.

Das Recycling der Zukunft….  
… fokussiert auf solche Materialien, die mehrfach wiederverwendet werden können.
Wir sprachen von der existenzbedrohenden Lage, in der sich viele Unternehmen der Branche befinden. Wo drückt der Schuh am stärksten?

Franziska Erdle: Insbesondere die Preisspirale bei den Stromkosten lässt unsere Unternehmen mit dem Rücken zur Wand stehen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Schon vor Ausbruch des Ukraine-Krieges waren die Strompreise für die energieintensive Industrie deutlich zu hoch. Wir fordern deswegen seit mehreren Jahren die Einführung eines europäischen Industriestrompreises. Leider sind wir mit diesem Anliegen bisher nicht von den politischen Entscheidern gehört worden. Hinzu kommt die drohende Gasmangellage. Unsere Unternehmen sind auf Gas angewiesen. Wenn es kurzfristig abgestellt wird, droht dauerhafter Schaden an den Anlagen. 

„Wenn es nicht umgehend Hilfestellung für die energieintensive Industrie und einen Deckel beim Strompreis gibt, dann stehen wir hier gerade am Anfang einer massiven Deindustrialisierung in Deutschland.“

Gibt es konkrete Beispiele, womit Unternehmen gerade besonders zu kämpfen haben? 

Franziska Erdle: Wir sind momentan in einer Situation, wo Unternehmen ganz konkret ihre Produktion drosseln aufgrund der gestiegenen Energiepreise. Mitunter bis zu 50 Prozent. Und anderen Unternehmen brechen große Kunden weg, weil sie – auch aufgrund der hohen Energiepreise – in die Insolvenz gehen. Wenn es nicht umgehend Hilfestellung für die energieintensive Industrie und einen Deckel beim Strompreis gibt, dann stehen wir hier gerade am Anfang einer massiven Deindustrialisierung in Deutschland. Und das hätte erhebliche Auswirkungen auf Arbeitsplätze und die Grundstoffversorgung in unserem Land. Dann würden wir noch mehr Grund- und Werkstoffe aus Drittländern importieren, die wir so dringend für unsere Zukunftstechnologien brauchen. Für eine erfolgreiche Energiewende, für eine Verkehrswende und die fortschreitende Digitalisierung. Und wir werden weiter unsere Abhängigkeiten erhöhen, bis hin zu einer Monopolisierung in vielen Bereichen in Richtung China. Das steht diametral zum Ansatz der Bundesregierung, die Rohstoffversorgung resilienter zu machen und zu diversifizieren.

Bis 2030 wird unsere Branche… 
… ihren CO2-Fußabdruck weiter maßgeblich reduzieren und weiterhin zuverlässig die Grundstoffe liefern, die wir für die Megatrends unserer Zeit benötigen.
WVMetalle-Präsident Roland Leder spricht in seinem Editorial davon, dass die NE-Metallindustrie den Schlüssel zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft und der Versorgungssicherheit durch heimische Ressourcen in der Hand hält. Was genau meint er damit? 

Franziska Erdle: Unter dem Begriff Recycling können sich ja die meisten Leute etwas vorstellen. Bei den Metallen gibt es aber eine Besonderheit, denn die Wiederverwendung ist quasi in der DNA der Metalle angelegt. Metalle können immer wieder in den Recyclingkreislauf zurückgeführt werden, und zwar ohne dass sie ihre spezifischen Eigenschaften verlieren. Das unterscheidet sie von anderen Materialien. Wir sagen deswegen auch gerne, dass Metalle gebraucht und nicht verbraucht werden. Das ist eine gute Nachricht, denn all die Metalle, die heute schon im Einsatz sind – in Baumaterialien, Kupferrohre in der Hauswand oder Aluminiumprofile im Fenster, aber auch das Messing in einer 2 €-Münze – können nach Ablauf der Lebenszeit des Produktes immer wieder weiterverwendet werden und stehen deswegen auch künftigen Generationen zur Verfügung. Wir haben also ein großes Metalllager in unserer Gesellschaft, das wir momentan aktiv nutzen für unser Leben, was wir aber auch zukünftig in selber oder auch in anderer Funktion weiternutzen können. Metalle verbinden deswegen Generationen miteinander. Von dem reinen Recycling müssen wir aber hinkommen zu einer weitergedachten Circular Economy.

Circular Economy ist also mehr als nur Recycling?

Franziska Erdle: Genau. Das heißt, wir müssen schon beim Design der Produkte das Recycling mitdenken. Man nennt das „Design für Recycling“ und wir brauchen auch eine verlängerte Nutzungsphase von Produkten. Die wesentlichen Impulse für die Circular Economy setzt momentan die Europäische Union mit dem Green Deal und mit dem Circular Economy-Aktionsplan. Zusätzliche Anreize soll die Taxonomie entfalten, die ja momentan auf europäischer Ebene diskutiert wird. Eins dürfen wir aber nicht vergessen: Mit dem Recycling und der Circular Economy werden wir unser Rohstoffproblem allein nicht lösen können.

Wie ist das zu verstehen und was wären dann Wege raus aus der Rohstoffknappheit?

Franziska Erdle: Wir brauchen weiterhin auch Primärrohstoffe. Denn die Metalle, die momentan noch in der Nutzung sind, können wir ja nicht sofort dem Kreislauf zuführen. Außerdem: Der Bedarf an Metallen ist u.a. aufgrund der Megatrends dieser Zeit deutlich höher als das, was an Schrotten zur Verfügung steht: Elektrifizierung, Digitalisierung, Verkehrswende, Energiewende. Das bestätigt auch eine interessante Studie der KU Leuven. Sie kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass etwa für den Green Deal bis zu 35-mal mehr Lithium bis 2050 als heute nötig ist. 

Wir brauchen also eine industriepolitische Gesamtstrategie, die sowohl die Circular Economy, den nachhaltigen Import von Rohstoffen als auch eine ebenso nachhaltige heimische primäre Produktion umfasst. Damit wäre eine wesentliche Säule geschaffen, um den Zugang Europas und Deutschlands zu den Werkstoffen zu sichern. Gemeinsam mit der EU müssen wir mittel- und langfristige Maßnahmen erarbeiten, damit die Wertschöpfungsketten künftig verlässlich funktionieren. 

„Metalle können immer wieder in den Recyclingkreislauf zurückgeführt werden, und zwar ohne dass sie ihre spezifischen Eigenschaften verlieren.“

Und was sind die Antworten der Politik auf den noch wachsenden Bedarf an Rohstoffen? 

Franziska Erdle: Wir freuen uns sehr, dass die Rohstoffpolitik in der Leitungsebene des BMWK angekommen ist. In dieser Legislaturperiode das erste Mal. Franziska Brantner, die Parlamentarische Staatssekretärin, zeigt hier großes Engagement und hat mich dankenswerterweise mit auf eine Rohstoffdelegationsreise genommen. Hier scheint sich ein gutes Miteinander zu entwickeln. Politik und Industrie ziehen hier an einem Strang und unser Input und unsere Branchenexpertise finden Gehör. Nun gilt es, die Rohstoffpolitik auch trotz der aktuell vorrangigen Energiekrise im Fokus zu behalten und vor allem auf die Auswirkungen der Energiekrise auf die Rohstoffpolitik vermehrt hinzuweisen.

Dafür brauchen wir von der Politik… 
… allem voran einen wettbewerbsfähigen Strompreis und die verlässliche Lieferung von CO2-reduzierter Energie sowie die verlässliche Lieferung von Gas. 
Wo sehen Sie die Verantwortung der Branche selbst, das Thema Rohstoffabhängigkeit in den Griff zu bekommen?  

Franziska Erdle: Unsere Unternehmen sind sich ihrer verantwortlichen Position in der Lieferkette bewusst. Gerade in Sachen Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren extrem viel getan. Mit unserer Metal Alliance for Responsible Sourcing, in der viele Unternehmen aktiv mitarbeiten, geben wir den Mitgliedern der Initiative eine Beratung an die Hand, mit der sie ein Risikomanagementsystem bei der Rohstoffbeschaffung im eigenen Unternehmen aufsetzen können. Der Erfolg gibt uns Recht. Denn das Projekt MARS ist nicht nur innerhalb unserer Branche bekannt, sondern zeigt auch unseren politischen Ansprechpartner*innen, dass unsere Unternehmen sich auf den Weg gemacht haben.

Franziska Erdle Hauptgeschäftsführerin

Veröffentlicht im September 2022