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Die Europäische Union legt fest, was nachhaltig ist. Wir zeigen, was das für unsere Mitglieder bedeutet.
„Die EU möchte Atomkraft und Gaskraft als nachhaltig einstufen“, lautete Anfang 2022 die Schlagzeile in vielen deutschen und europäischen Medien. Sofort hagelte es Kritik, von allen Seiten. Denn in der aktuellen Debatte geht es auch um einen grundsätzlichen Streit in der Europäischen Union darüber, was als nachhaltig gilt und was nicht.
Taxonomie (altgriechisch τάξις táxis, Ordnung’ und νόμος nómos, Gesetz’)
Nachhaltigkeit, auch in Sachen Geldanlagen, ist in aller Munde. Für zwei Drittel der deutschen Anleger ist es wichtig, dass ihr Geld in nachhaltige Produkte fließt (Studie deutscher Bankenverband). Sogenannte Green Bonds sind vermutlich das bekannteste Instrument von grünen Finanzierungen. Diese Anleihen, deren Erlöse in nachhaltige Projekte investiert werden, haben in den vergangenen Jahren einen rasanten Wachstumskurs hingelegt.
Als Basis dient oft die Berücksichtigung von ESG-Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Doch einheitliche Kriterien, was z.B. ein nachhaltiges Finanzprodukt ausmacht, gab es bisher nicht. Die Europäische Kommission hat sich dieses Themas angenommen und ein sehr komplexes Regelwerk, die Taxonomie-Verordnung, entwickelt. Aber auch weitere Länder wie Kanada oder China entwickeln ihre eigenen Taxonomien.
Wie alles anfing
#GreenDeal #NachhaltigesWachstum
#SustainableFinance #EUTaxonomy
Um das politische Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 zu erreichen und den europäischen Green Deal umzusetzen, werden große Investitionen in grüne Technologien benötigt. Die EU-Kommission geht von einem jährlichen Investitionsbedarf von 350 Mrd. Euro aus. Im Jahr 2018 hat sie daher einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (Sustainable Finance) vorgelegt. Kern des Aktionsplans ist der Vorschlag über eine EU-Taxonomie-Verordnung.
Mit ihr definiert die EU, welche Wirtschaftsaktivitäten ökologisch-nachhaltig sind. Ziel ist es, so vermehrt Investitionen in sogenannte grüne Technologien zu lenken. Finanzmarktakteure, wie Banken und Versicherer, werden so verpflichtet, stärker auf Nachhaltigkeit zu achten. Investoren können ihren Fokus auf entsprechende Technologien und Firmen verlagern. Und Anleger werden besser vor sog. „Greenwashing“ geschützt. Dies soll auch die Realwirtschaft dazu bringen, stärker in klima- und umweltfreundliche Produktionsprozesse zu investieren.
Nach intensiven Diskussionen wurde im Dezember 2019 eine Einigung zwischen EU-Parlament und Rat erzielt. Die Verordnung konnte im Juni 2020 offiziell in Kraft treten. Im Anschluss daran haben die Experten der Sustainable-Finance-Plattform über Monate hinweg Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung erarbeitet. Erste Anforderungen sind seit Anfang 2022 in Kraft. Da es sich um eine Verordnung handelt, gelten die Anforderungen unmittelbar und müssen nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden.
Sustainable-Finance-Plattform: Expertengruppe, bestehend aus Vertretern der Wirtschaft, u.a. Eurometaux sowie Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Sie berät die EU-Kommission zur Umsetzung der Taxonomie und arbeitet an technischen Kriterien zu den Umweltzielen, z.B. zur Kreislaufwirtschaft, oder an einer möglichen sozialen Taxonomie.
Die Taxonomie-Verordnung – was steckt drin?
#OECDGuidelines #UNGuidelines #CSRD #EFRAG #DelegierterRechtsakt
Als ökologisch-nachhaltig im Sinne der Taxonomie und damit als „taxonomiekonform“ gelten Wirtschaftsaktivitäten, die mindestens zur Erfüllung eines von sechs Umweltzielen beitragen, ohne die übrigen Ziele zu beeinträchtigen. Außerdem muss ein Mindestschutz eingehalten werden, der sich an Vorgaben, insbesondere an den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, orientiert. Die Taxonomie-Verordnung dient auch als Grundlage, um Standards für grüne Finanzprodukte festzulegen. Was die Verordnung als einen wesentlichen Beitrag zu den Umweltzielen bzw. als eine erhebliche Beeinträchtigung bewertet, wird über technische Kriterien für die jeweilige Wirtschaftsaktivität, z. B. die Herstellung von Aluminium, individuell festgelegt. Im Artikel 8 der EU-Taxonomie wird die Offenlegung von Informationen geregelt, wo, wie und in welchem Umfang berichtet werden muss.
Verordnung in Kraft seit 2020, Anwendung seit 2022
Gilt ab dem 1.1.2022
Sollen ab 2023 gelten
Basierend auf der Einhaltung technischer Bewertungskriterien:
Die Details werden von der EU-Kommission über delegierte Rechtsakte festgelegt. Erste Anforderungen zu den Berichtspflichten (Art. 8) und den ersten beiden Umweltzielen „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ greifen seit Anfang 2022. Die Verabschiedung der technischen Kriterien hat sich immer wieder verschoben und soll wohl schrittweise ab Ende 2022 erfolgen. Die delegierten Rechtsakte sollen regelmäßig überprüft und an neue Entwicklungen und den technischen Fortschritt angepasst werden.
Delegierte Rechtsakte bezeichnen von der EU-Kommission erlassene Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die der Änderung oder Ergänzung von nicht-wesentlichen Vorschriften von Rechtsakten dienen. EU-Parlament und Rat können diese Befugnisübertragung widerrufen oder einen delegierten Rechtsakt ablehnen.
Offenlegungspflichten: auch energie- und umweltintensive Sektoren verstärkt im Fokus
Die Verordnung richtet sich an EU-Mitgliedstaaten und die EU selbst, z. B. zur Festlegung von Standards für grüne Anleihen sowie an Finanzmarktteilnehmer, die Finanzprodukte bereitstellen (z.B. die Vermarktung eines nachhaltigen Investmentfonds). Seit Anfang 2022 haben Kreditinstitute erweiterte Offenlegungspflichten im Sinne der Verordnung (z. B. Anteil taxonomiekonformer Investments). Doch vor allem auch die Realwirtschaft ist betroffen. Denn Unternehmen, die zur nicht-finanziellen Berichterstattung unter der EU-Richtlinie 2014/95/EU (sog. NFRD bzw. CSR-Richtlinie) verpflichtet sind, müssen offenlegen, wie und in welchem Ausmaß ihre Wirtschaftsaktivitäten im Sinne der Taxonomie als ökologisch-nachhaltig zu betrachten sind.
Offenlegungspflichten der betroffenen Unternehmen:
Die CSR-Richtlinie, die bisher die nicht-finanzielle Berichterstattung von großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen regelt, wird aktuell grundlegend überarbeitet. Sie soll verschärft und der Anwendungsbereich massiv ausgeweitet werden (Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD)). Die Folge: In Zukunft müssen weit mehr Unternehmen, die EU-Kommission spricht von 50.000, offenlegen, inwiefern ihre wirtschaftlichen Aktivitäten mit den Kriterien der EU-Taxonomie übereinstimmen. Hier sollte im Sinne einer Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen von bürokratischen Lasten die Berichtspflicht auf Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern beschränkt werden. Die unabhängige European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) hat von der EU-Kommission den Auftrag erhalten, die Berichterstattungsstandards zur CSRD auszuarbeiten.
CSRD: Nach Plänen der EU-Kommission müssen ab dem Berichtsjahr 2026 (Geschäftsjahr 2025) auch nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen mit jährlich ≥ 250 Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von ≥ 40 Mio. Euro oder einer Bilanzsumme von ≥ 20 Mio. Euro zusammen mit dem Geschäftsbericht einen verpflichtenden Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Für Unternehmen, die im Anwendungsbereich der Non-Financial Reporting Directive (NFRD, auch als CSR-Richtlinie bezeichnet) liegen, gelten die neuen Vorgabenschon ein Jahr früher. Drei Jahre später sind außerdem kapitalmarktorientierte KMU berichtspflichtig, die mindestens 2 von 3 der folgenden Kriterien erfüllen: 1) 10 Beschäftigte, 2) 350.000 Euro Bilanzsumme, 3) 700.000 Euro Nettoumsatz. Eine Berichterstattung auf Konzernebene entbindet Tochtergesellschaften von der eigenen Berichtspflicht. Ein Verweis auf den Konzernbericht ist ausreichend.
Warum wir uns als NE-Metallindustrie mit der Taxonomie befassen müssen! #KomplexeWertschöpfung #Wirtschaftsaktivität #Umweltziele #Aluminium
Im Fokus der Taxonomie stehen bisher die Industrie und insbesondere energieintensive Sektoren, wie die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie. Für sie hat die EU-Kommission bereits technische Kriterien zu den Umweltzielen 1 (Klimaanpassung) und 2 (Klimaschutz) erarbeitet, u.a. auch sehr ambitionierte Kriterien für die Herstellung von Aluminium.
Eine weitere Betroffenheit unserer Branche ergibt sich aus den Vorgaben hinsichtlich der Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der Wertschöpfungsketten der NE-Metallindustrie. Hierzu gehören die Herstellung von Technologien für Erneuerbare Energien und von Batterien sowie von Materialien und Technik zur Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden und die Stahlproduktion. Weitere Informationen, auch zu anderen wirtschaftlichen Aktivitäten, sind dem EU Taxonomy Compass zu entnehmen. Nach Schätzungen der EU-Kommission erfasst die Taxonomie mit circa 80 Prozent der Emissionen schon jetzt einen Großteil der emissionsintensiven Wirtschaftssektoren. Weitere Bereiche sollen aber folgen.
Das Beispiel Aluminium macht deutlich, dass die Taxonomie die Komplexität industrieller Wertschöpfungsketten nicht abbilden kann und damit Kapitalgeber demotiviert, in die Grundstoffindustrie zu investieren, die für die grüne Transformation unverzichtbar ist.
Für die Aluminiumindustrie bedeutet dies, dass Unternehmen, die heute schon unter die CSR-Richtlinie fallen, in ihrem Nachhaltigkeitsbericht über die von der Taxonomie abgedeckten Tätigkeiten berichten müssen (Stand Oktober 2022: Umweltziel 1 und 2).
Aluminium: Für den ersten delegierten Rechtsakt zu den Umweltzielen 1 und 2 wurden die energieintensivsten Sektoren berücksichtigt, u.a. Herstellung von Aluminium (NACE 24.42). Als „wesentlicher Beitrag“ zum Klimaschutz (Umweltziel 1) gilt immer die Herstellung von Sekundäraluminium oder u.a. eine durchschnittliche CO2-Intensität der indirekten Treibhausgasemissionen unter 100g CO2-Äq/kWh. Wenn die indirekten Treibhausgasemissionen aber 270g CO2Äq/kWh übersteigen, gilt dies als erhebliche Beeinträchtigung des Umweltziels und damit als nicht-taxonomiekonform. Weitere Informationen zu den Kriterien für die Herstellung von Aluminium finden Sie hier.
Neueste Entwicklungen: Aktuell werden die technischen Kriterien zu den Umweltzielen 3 bis 6 diskutiert. In dem am 30. März 2022 erschienenen Bericht der Sustainable-Finance-Plattform, der als Grundlage für den Rechtsakt gilt, konnten aufgrund schwieriger Datenlage und Komplexität bisher keine Kriterien für die NE-Metallindustrie und den Bergbau vorgeschlagen werden. Die Plattform will sich aber in Zukunft um die Erarbeitung geeigneter Benchmarks bemühen.
Die EU-Kommission prüft den Bericht der Plattform und wird voraussichtlich in den nächsten Monaten einen Delegierten Rechtsakt vorlegen. Der Bericht der Plattform ist aber nicht bindend für die EU-Kommission. Das Europäische Parlament und der Rat (EU-Mitgliedstaaten) haben dann mehrere Monate Zeit, den Vorschlag zu diskutieren. Falls ein Rechtsakt nicht abgelehnt wird, kann er anschließend in Kraft treten. Sektoren, zu denen technische Kriterien für die Umweltziele 3-6 erarbeitet werden, müssen dann hierzu berichten. Ob es zeitnah Kriterien für die NE-Metallindustrie gibt, stand bei Redaktionsschluss nicht fest.
Relevanz der Taxonomie
#WVMetalle #BDI #Eurometaux #Positionspapier
Für die energieintensive Industrie ergeben sich aus den Anforderungen der Taxonomie besondere Herausforderungen. Denn die Umstellung der Verfahren, z.B. gasbetriebene Schmelzöfen, ist nicht ohne Weiteres möglich. Wir als WVMetalle haben uns regelmäßig und intensiv mit unseren Forderungen in den politischen Prozess eingebracht, zum Aktionsplan der EU-Kommission und insbesondere zu den Kriterien für Aluminium und der technischen Arbeit der Sustainable-Finance-Plattform. Hier ist insbesondere die enge Zusammenarbeit mit Eurometaux, dem Spitzenverband der Europäischen Metallindustrie, sowie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) von Bedeutung. Gemeinsam haben wir uns dafür eingesetzt, dass ein sogenanntes „Brown-Listing“, das insbesondere energie- und umweltintensive Sektoren, wie die NE-Metallindustrie diskriminiert hätte, nicht in die Taxonomie aufgenommen wurde. Dennoch bleibt die Taxonomie in einer Schwarz-Weiß-Klassifizierung gefangen. Es gelingt nicht, die Verknüpfung der industriellen Wertschöpfungsketten zu erfassen. Die Grundstoffindustrie hat in der Logik der Taxonomie einen strategischen Nachteil, obwohl ihre Produkte und Werkstoffe unverzichtbar für grüne Investitionen sind.
Ganz konkret: Praxischeck für Unternehmen
#Anwendung #Reporting #TaxonomiekonformeInvestitionen
Es ist zu empfehlen, dass auch Unternehmen, die nicht unter die CSR-Richtlinie fallen, sich mit den Vorgaben der EU-Taxonomie-Verordnung schon jetzt beschäftigen. Denn die deutsche staatliche Förderbank KfW fördert klimafreundliche Aktivitäten mittelständischer Unternehmen in Anlehnung an die EU-Taxonomie. Es ist zu erwarten, dass zukünftig vermehrt öffentliche Gelder nach Taxonomie-Kriterien vergeben werden und die Taxonomie als Grundlage für die Bewilligung von Fördermitteln, (günstigeren) Krediten genutzt wird. Auch andere Banken und Investoren werden verstärkt auf ihre Kunden zugehen und Kennzahlen im Zusammenhang mit der Taxonomie-Verordnung abfragen.
EU-Taxonomie bietet Nachhaltigkeitskriterien für Unternehmensaktivitäten sowie für Förderprogramme und Öko-Labels
Darüber hinaus können Unternehmen sich für eine freiwillige Anwendung der Taxonomie entscheiden, um so möglicherweise die Beschaffung von Finanzmitteln für nachhaltige Investitionen zu vereinfachen. Insbesondere auch KMU, die nicht zur Veröffentlichung von nicht-finanziellen Informationen verpflichtet sind, können auf ihrer Website offenlegen, in welchem Umfang ihr Umsatz bzw. ihre Investitionen taxonomiekonform sind.
Eine gute Übersicht und Praxisbeispiele zur Anwendung der Taxonomie für Unternehmen finden Sie auch hier: Anwendung der EU Taxonomie für Unternehmen (eu-taxonomy.info)